Die Wochenpost Redaktion schreibt einen Brief an das SED Politbüro

Dem Leser wird Vieles unverständlich bleiben, zumindest werden Fragen entstehen, wenn er sich nicht in die Zeit der Entstehung dieser Aufzeichnungen 1956 in der DDR hineinversetzt. Für die Jüngeren unter Ihnen, hier ein paar Stichworte.  Der kalte Krieg zwischen Bonn und Pankow (Adenauer sprach immer nur von den Herren in Pankow, wenn er die Regierenden in Ostberlin meinte)  hatte Hochkonjunktur. Der 17. Juni 1953 war in Berlin (Ost) noch lebendig in Erinnerung. In Polen wehren sich im Sommer 1956 die Werftarbeiter – der Posener Aufstand steht hierfür als Sammelbegriff.  Im Herbst des gleichen Jahres tritt Ungarn auf den Plan und will sich von der sowjetischen Dominanz lösen.

In der DDR war es den Zeitungen strickt untersagt, darüber zu berichten. Die amtliche Vorgabe forderte, von faschistischen Putschversuchen und Pogromen zu schreiben, die sich gegen das friedliche Volk richteten und die allesamt vom Westen gesteuert seien.

Martin Böttcher war zu dieser Zeit politischer Redakteur der Wochenzeitung  „Die Wochenpost“.  Verständlich, dass die Redaktion massenhaft mit Leserbriefen zugedeckt wurde, die zu den Vorkommnissen in Polen, später dann in Ungarn, Stellung nahmen und Fragen stellten.

In der DDR gab es zu dieser Zeit mehr als 1.500 Presseorgane. Es ist nur von einer Redaktion überliefert die sich mit dem Zustand nicht abfinden wollte und sich mit einem Brief an das höchste Parteiorgan in der DDR, an das Politbüro beim Zentralkomitee der SED, wandte.

Der Chefredakteur Rudi Wetzel sollte aus der Partei ausgeschlossen werden. Trotz massiven Drucks und wochenlang sich wiederholender Parteiversammlungen lehnte die Parteigruppe der Wochenpost-Redaktion es ab, einem Parteiausschluss zuzustimmen. Am Ende wurde er als Chefredakteur abgelöst und drei weitere Redaktionsmitglieder, darunter Martin Böttcher, wurden entlassen. In den entsprechenden Dokumenten wird immer eine Formulierung gebraucht, die den Eindruck erweckt, mein Vater habe seine Kündigung selbst aktiv betrieben.   
               Martin Böttcher erhielt eine strenge Rüge, die höchste Form einer parteiinternen "Erziehungsmaßnahme" vor dem Parteiausschluß. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Jahre später immer wieder auf meinen Vater eingewirkt wurde, er möchte doch die Löschung dieser Parteistrafe beantragen. Das hat er nicht getan und seltsamerweise ist dann irgendwann von diesem Parteiverfahren in seinen Unterlagen keine Rede mehr gewesen.

                Es dauerte bis 1960 bis mein Vater wieder eine feste Anstellung als Redakteur/ Journalist angeboten wurde. In dieser Zeit ohne feste Anstellung begann er damit, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben.